Der erste Schritt ins neue Haus fühlt sich wie ein Befreiungsschlag für mich an.
Als ich die vier Stufen des Hofeingangs hinaufgehe wendet sich mein Blick dem großen, darüber liegenden Balkon zu, der in der scheinenden Sonne fast schon magisch glänzt. Ich bleibe kurz stehen und fokussiere meine Augen gen Himmel. Wie schön blau er heute aussieht, so friedlich und ruhig.
Vor dem Hoftor wartet der blaue Skoda mit ca. 3 Millionen Salzstangenkrümeln, ungefähr zwölftausend Jacken, einzelnen Schuhen, Malbüchern und losen Stiften darin.
Wieder einmal hat uns das, für fünf Menschen recht kleine Auto, zuverlässig ans Ziel gebracht und nach mehr als 2500km Fahrt, alleine im April, seinen Dienst getan.
Die Kupplung nervt mich, als ich das Rädchen des Anhängers drehe, um ihn abzumachen. Schwarzes Schmierfett macht sich auf meinen Händen breit. Aber da heute DER Tag der Tage ist, kann ich alles verzeihen und mache mich auf die Suche nach dem nächsten Waschbecken.
Während Johanna sich voller Leidenschaft ihrem rosanen Fahrrad widmet und unermüdlich in der kleinen Gasse hin und her fährt, räumen Peter und ich das Auto und den Hänger leer. Beinah spielerisch gelingt uns der Umzug, als sich unser Größter in die Kette einreiht und wir staffellaufähnlich jedes Teil durch drei Hände gleiten lassen.
Der Flur wird voller und voller und all der Krempel, all die Kisten und die wenigen Möbel die wir überhaupt noch besitzen, überfordern mich. Ich denke an meinen tollen Vorsatz von Minimalismus und verdränge ihn direkt wieder als mir klar wird, dass nicht nur mein Bedürfnis zählt, sondern auch das meiner Familie.
Später soll ich merken, dass wir für die Anzahl der Personen dennoch wenig besitzen und dass ein großes Haus umso gemütlicher wird, je liebevoller es eingerichtet ist. Dazu gehören Möbel und Kleinkram genauso wie das Bewusstsein für Ressourcen und ein gesundes Maß an Verbrauch – in jeglicher Hinsicht!
Der Tag ist fast geschafft, als ich über das Meer an Kisten hinwegsehe und meine Klamotten für den nächsten Tag aus einem der zwei Rucksäcke ziehe, in denen sich die Kleidung aller Familienmitglieder befindet.
Es dämmert schon und der tolle Ofen in der großen Wohnküche gibt flackernd seine unfassbar angenehme Wärme ab. Wie gut, dass ich die Kiste mit dicken Kissen gefunden habe. Und so setze ich mich direkt vor´s Feuer und halte inne.
Was für eine aufregende Zeit, denke ich. Fünf, viel zu lange, Wochen ohne Hund, fünf anstrengende Wochen bei Familie und Freunden, fünf volle Wochen, in denen wir den Spritverbauch mehrerer Monate zusammen getoppt haben. Nachhaltig ist was anderes!
Fünf Wochen voller Freude, Frust, Trauer, Anstrengung, niederschmetternder Wohnungsbesichtigungen, Kraft und Anpassung.
Fünf Wochen gefüllt mit einer riesengroßen Portion Vertrauen, dass sich alles zu unserem Besten fügen wird und wir getragen sind!
Und jetzt sitze ich hier: In einem Haus nur für uns, in einem kleinen Ort voller Leben, an einem Platz in der Welt, an dem sich die alten Menschen direkt gegenüber auf der Bank an sonnigen Tagen zum quatschen verabreden.
Ich sitze vor den wundervollen Flammen des Ofens, welchen ich mir so sehr gewünscht habe, in einem Haus, welches vor Liebe strotzt und dessen Besitzer es mit Schweiß und Zeit umgebaut und saniert haben. Ich sitze hier und kann jedem meiner Kinder ein Zimmer anbieten, auf einem Mittelding zwischen Balkon und Terrasse im Sommer ein Planschbecken aufbauen, in zwei Gehminuten das Grüne erreichen und dort leben, wo andere Urlaub machen.
Ich spüre die Freude wenn ich hineinfahre und sehe die Berge wenn ich ihn verlasse.
Wenn ich morgens ins warme Bad komme und unter der großen Regenwalddusche das Wasser von meinen Haaren tropft, wenn ich dann meine Augen schließe und wahrnehme was ist, dann hat mich das Leben in den letzten Wochen wieder mal ordentlich getestet.
Dann spüre ich, dass es wieder einmal mein Herz war, welches mich leitete und dass es so wichtig ist zu horchen, was es mir sagen will.
Ich habe wieder einmal begriffen, dass vorschnelle, aus Angst getroffene Entscheidungen unglücklich machen und dass meine Intuition und die allseits gelobte Geduld mich hierher geführt haben.
Und ich weiß, dass wir niemals genau hier eingezogen wären, hätte ich mit dem Verstand gewählt und unterdrückt, was sich zeigen wollte.
Und wenn ich darüber nachdenke, wie unfassbar viel im letzten Jahr für uns passiert ist, dann muss ich darüber schmunzeln, an welchem Ort ich gerade sitze, während ich diese Zeilen schreibe:
Am Fuße der wunderschönen Rhön, in einem Landkreis „mit dem rollenden R“, wenn ich die Einheimischen sprechen höre. Im Land der tausend Biere und der allseits berühmten Weißwurscht – hello Bayern, again –
Du hast uns wieder! Und das ist gut so!