Eine schmerzhafte Erkenntnis: Unser Hund leidet unter unserem Reiseleben

Dein Verhalten macht mich vollkommen wahnsinnig!“ brülle ich mitten auf der Straße.

Wie kann man nur so undankbar und ignorant sein, hä???“

Er beachtet mich nicht. Keine Sekunde schenkt er mir Aufmerksamkeit und seine braunen Augen haben längst etwas spannenderes entdeckt als mich.

Arsch!, denke ich mir und beginne meinen Spaziergang, welch unpassendes Wort an dieser Stelle, fortzusetzen.

Alles riecht so toll. Hier eine Spur, dort eine Spur, alles prima. Nicht für mich! Für ihn!

Für mich riecht gerade gar nichts toll. Ich bin einfach nur auf 180 und endgenervt.

Die nächste Straßenkreuzung- bitte nicht!

Schon wieder. Heftiges Ziehen an meinem Arm weil es ihm nicht schnell genug geht. Diese Ungeduld kenne ich zu gut, aber man kann sich auch mal zusammenreißen, finde ich!

Er offenbar nicht.

Ihm ist es einfach furzpiepegal, wie es mir damit geht.

Die Zunge bis zum Boden hängend, heftig hechelnd und immer stramm im Halsband- mein Hund. Jolo!

Mein Hund… so fühlt es sich an diesem Tag gar nicht mehr an. Ich bin am Ende mit meinen Nerven. So viel Energie, Zeit und Liebe habe ich in dieses Wesen gesteckt.

Ich will ihn nicht mehr, denke ich. Ja, wenn ich ganz ehrlich bin, dann will ich ihn nicht mehr.

Unser Hovawart JoloDie Zeit vergeht. Monatelang versuche ich dem Hund ein guter leader zu sein, voranzuschreiten, klare Ansagen zu verteilen, doch der, in meinen Augen undankbare Sturkopf, ignoriert mich nahezu vollständig.

Das Reisen durch Europa ist anstrengend, der Hund im ständigen Territoriumwechsel und völlig verwirrt.

Mein Hovawart ist nicht fürs reisen gemacht, weiß ich heute!

Ich versuche ihn ebenso zu ignorieren wie er mich. Die obligatorischen Spaziergänge werden von Tag zu Tag zur Qual und ich schaue in diese wunderschönen Augen mit einer Hilflosigkeit wie ich sie kaum von mir kenne.

Ich meide ihn und er meidet mich. Unausgesprochener Deal!

Einige Wochen später beschließe ich, dass es nicht mehr geht. Ich kann nicht mehr. Der Hund muss weg.

Unter Tränen erzähle ich meinen Kindern von meinem Plan und sie schließen sich mir in tiefer Trauer weinend an. Ich spüre ihren unendlichen Schmerz und die tiefe Liebe zum Hund.

Mir zerreißt es das Herz.

Ich weine als wenn es kein Morgen gäbe. Wieder und wieder rinnen Tränen der Verzweiflung und der heillosen Überforderung meine Wangen hinunter.

Und irgendwo zwischen Himmel und Hölle kontaktiere ich eines Tages den Zuchtverband für Hovawarte, um Jolo im Internet einzustellen.

Ich kann nicht in Worte packen, wie beschissen es mir damit geht. Und meinen Kindern erst…

Doch ich spüre, dass es richtig ist. Endlich ist da wieder das Gefühl von Leichtigkeit, welches ich so sehr vermisse.

Keine zwei Tage später erreicht mich der erste Anruf als Reaktion auf meine Annonce.

Ein älteres Ehepaar, Hovawart erfahren, beide Rentner, sehr sympathisch. Sie wollen Jolo schnellstmöglich kennenlernen. Und ich sie!

Die Zeit vergeht wie im Fluge als wir die beiden drei Stunden später auf dem Spaziergang treffen. Pure Begeisterung seitens der Frau ist offensichtlich spürbar und auch in mir entsteht Erleichterung, die keine zwei Minuten anhält, als der Mann plötzlich sagt:“ Das wird extrem schwer für ihn. Er ist total an dich gebunden!“

Ich kann es nicht fassen. Warum in Herrgotts Namen muss er so etwas sagen? Mir stehen Tränen in den Augen.

Am nächsten Morgen sagen die beiden ab, weil sie sich nicht in der Lage fühlen, ihm so ein sportliches und freies Leben zu geben wie wir es tun.

Und in mir beginnt ein Cocktail aus Zweifeln und Standhaftigkeit zu brodeln.

Ich spüre so klar wie nie zuvor, dass ich noch Zeit brauche für diese Entscheidung. Ich spüre, dass es 50/50 für Jolo steht und dass ich diesen Schritt erst dann vollziehen werde, wenn ich mindestens ein 60/40 spüre.

Die Tage verfliegen und währenddessen kriege ich mich mit einigen Familienmitgliedern in die Haare, von denen ich nichts als Vorwürfe ernte.

Wie gut, dass ich auch Kontakt zu Menschen habe, die meine Verzweiflung sehen ohne mich zu bewerten, denn am selben Tag führe ich ein ausführliches Gespräch mit einer Vermittlungsstelle und dem Zuchtverband, welche mir neben einem offenen Ohr vor allem eines schenken: Verständnis!

Ich beschließe, eine 1:1 Stunde bei einem Hundetrainer zu buchen, weil ich herausfinden möchte, worin eigentlich unser Problem liegt und einige Tage später stehe ich auf dem Hundeplatz von Mario und schenke Jolo und mir die Möglichkeit, unser Miteinander zu reflektieren und noch tiefer in sein Verhalten einzutauchen.

Ich erinnere mich noch daran wie ich mit rauchendem Kopf nach dieser Session im Auto sitze und ich nur eines weiß: Das Ja und das Nein in mir halten sich nach wie vor die Waage. Ich begreife, dass Unklarheit manchmal schlimmer auszuhalten ist als der Schmerz der Trennung.

Auf dem Weg nachhause versacke ich in Selbstmitleid. Ach Gott, ist mein Leben schwer und kompliziert, denke ich, als ich den verdammten Motor vibrieren höre- auch eine Baustelle in meinem derzeitigen Zustand.

Tage vergehen. Ich lebe zurückgezogen und in mich gekehrt und wenn du dich jetzt fragst, welche Rolle Peter in diesem Gefüge spielt, so kann ich dir nur eines sagen: Keine!

Dass Jolo mein Hund ist, war von Beginn an zwischen uns geklärt.

Hovawart Ruede Jolo laesst sich tragen
Hovawart Jolo – alles andere als ein Schoßhündchen

Ich schwanke und lasse die Anzeigen online. Ich spüre, weine und nehme an was ist.

Und plötzlich tue ich etwas, was absolut keinen Sinn ergibt.

Ich gehe ins Netz und bestelle Hundefutter, eine Kühldecke, einen Ball, ein neues Körbchen und eine XXXL Box für Jolo.

Ja, da sitze ich nun und lasse mein Herz entscheiden. Da sitze ich nun und schaue diesem Wesen in seine lieben Augen, während ich sein weiches blondes Fell streichle.

Da sitze ich nun und weiß, dass dieser Hund eine große Aufgabe ist und doch so tief mit meinem Herzen verbunden, wie ich es in den letzten Monaten nur schwer spüren konnte.

Und als die Pakete mich erreichen, das Signal „Box“ trainiert ist, meine Aura 100% mehr Sicherheit für ihn ausstrahlt und wir mit dem (immer noch extrem mühseligen) Leinentraining begonnen haben, scheint mein verdammt harter und tiefer Fall fast schon überwunden zu sein!

Danke Jolo, dass du wenigstens ohne Leine einer der weltbesten Hunde bist, die ich jemals getroffen habe. Ich liebe es, dich glücklich zu sehen 🤍

Dies ist ein wahrheitsgetreues Plädoyer für Annahme! Nimm an was ist und spüre den Moment. Lass dich niemals durch andere von dir selbst abbringen und nimm dir Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben!

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