Wir sind irgendwie anders…
Ausschließlich Bioessen, Kinder nicht im Kindergarten oder in der Schule, Hausgeburten, 99% vegan, Beziehung statt Erziehung, mit drei Kindern um die Welt? Das klingt ganz schön crazy.
Aufgewachsen bin ich in einem popeligen, schönen Dorf in Nordrhein-Westfalen. Rund 800 Menschenseelen lebten dort zu jener Zeit, als ich ein Kind war. Ich hab mich dort sauwohl gefühlt und meine Kindheit war geprägt vom Spielen auf der Straße und von Familienfesten. Ich hatte immer meine Cousinen um mich herum, meine Großeltern waren in drei Minuten mit dem Fahrrad zu erreichen und ich liebte es, mit meinem Vater zu McDoof zu gehen und endlich mal kein Bio essen zu müssen, worauf meine Mutter schon damals total abfuhr. Im Laufe der Zeit bekam ich einige Geschwister und damit erfüllte man mir einen großen Herzenswunsch.
Alles war perfekt. Alle waren nah und da.
Dann kam der Tag an dem wir nach Leipzig zogen. Ich wurde herausgerissen aus meinem Dörfchen und das schmerzte. In den Ferien fuhr ich nachhause und in der Großstadt wollte ich lange nicht ankommen. Ich hasste die Schule, war angestrengt von den Cliquenbildungen in der Klasse und dem Druck der Lehrer. Meine Familie ging nur noch in den Bioladen und auch mein Stiefvater wurde immer mehr zum Öko.
Ich pubertierte unterdessen und fand eh alles scheiße. Die Waldorfschule war für mich eine ganz schön komische Einrichtung und ich hätte es viele Jahre vorgezogen, in eine normale, staatliche Schule zu gehen. Schließlich war ich vorher auch an solcher und da wurde ich wenigstens in Ruhe gelassen mit komischen Fragen. Jetzt aber hatten sie mich an dieser Schule angemeldet und das gab mir/ uns in dem kleinen Dorf bereits eine andere Stellung.
Ich habe viele Jahre gebraucht bis ich fühlen konnte, dass dieses Schulkonzept mehr zu bieten hatte als jede andere Schule. Irgendwann konnte ich mich damit anfreunden, dass wir Eurythmie als Unterricht hatten, dass ich eine Hose schneidern sollte und ich mich in Form der Jahresarbeit in ein Thema meiner Wahl einlassen durfte, um es im Anschluss vor versammelter Mannschaft in der Aula präsentieren zu können. Mir wurde auch bewusst, dass dort viel mehr Alternative rum rannten. Menschen, die gegen den Strich zu sein schienen, die sich Gedanken machten über unsere Umwelt und Landwirtschaft. Und leise und im Stillen tat sich auch etwas bei mir, ohne Druck von außen. Meine Gedanken und Gefühle entwickelten sich immer stärker in die Öko- Richtung, jedoch merkte ich schnell, dass es innerhalb der Klasse unmöglich war, dies vollends auszuleben oder zuzugeben. Der Klassenverband war zu stark auf Mainstream aus. Ich unterdrückte demnach viele Jahre was mir eigentlich sehr gut gefiel. Auch zuhause gab ich weiter Gegenwind, denn ich war innerlich verunsichert, wie weit ich meine Veränderung zeigen konnte.
Endlich hatte ich die Schule abgeschlossen und zog mit meinen 18 Jahren sofort von zuhause aus um nach Berlin zu gehen. Dort arbeitete ich in einem anthroposophischen Krankenhaus und kaufte für mich im angeschlossenen Bioladen ein. Auch hatte ich bereits eine Ausbildung in einer alternativen Heilform absolviert und mein Schulpraktikum bei einer Tierheilpraktikerin gemacht.
Als ich dann meinen Dienst im Rettungswagen als Assistentin vom Notarzt antrat, fühlte ich mich in meiner Schulklasse erneut so anders. Ich hatte Probleme mit der Art und Weise zu handeln, mir ging es nicht gut damit, Patienten allzu früh mit Medizin voll zu pumpen und der Umgang untereinander war geprägt von Grobheit und wenig Sensibilität. Bei dem einen Team war ich daher schnell als Psychologin bekannt und sie ließen mich alleine mit den Patienten, hinten im Rettungswagen, damit ich sie psychisch auffangen konnte. Ich begann, mich mit Komplementärmedizin zu beschäftigen. Interessierte mich dafür, wie der Körper auf Pflanzen reagiert und beendete nach schlaflosen Nächten und einem Haufen Grübelei die Ausbildung vorzeitig.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Endlich musste ich mich nicht mehr verstellen wenn ich unter den Menschen war. Damals hatte ich noch keine Möglichkeit für mich gefunden, mit dieser Andersartigkeit umzugehen und es fiel mir schwer einen authentischen Umgang unter Menschen zu finden, die anders tickten als ich. Auch bekam ich eine Menge Kritik in Bezug auf meine Entscheidung, die Ausbildung abzubrechen und kaum jemand konnte mit mir fühlen, warum ich diesen Schritt getan hatte und vorallem, wie wunderbar es mir damit ging.

Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits in Peter verschossen und als er eines abends mal wieder zu einer Feier bei sich einlud (wir kennen uns schon ewig), saßen wir auf dem Fenstersims, rauchten gemeinsam eine und ich erzählte ihm, was passiert war. Er war der einzige Freund, bei dem ich das Gefühl bekam, ganz Ich sein zu dürfen. Keine Fragen, kein Unverständnis sondern völlige Akzeptanz kam mir entgegen. Das tat so gut und natürlich fühlte ich mich noch verknallter als vorher. Das Gefühl stieß wohl auf Gegenseitigkeit und wir wurden noch im gleichen Monat ein Liebespaar. Ich arbeitete als Tagesmutter weiter und drei Monate später wussten wir, dass wir Eltern werden würden.
Schon in der Schwangerschaft ließ ich mich nicht auf Besuche beim Arzt ein, sondern genoss die wundervolle Begleitung durch meine Hausgeburtshebamme. Ultraschall sah ich schon damals kritisch und jegliche Eingriffe ohne Not ebenso. Die Geburt stellte ich mir absolut machbar und natürlich vor. Fürs Baby gabs feinste Biostoffwindeln und die Kleidung bestand zum Großteil aus Biowolle. Natürlicherweise hatten wir beide eine Abneigung gegenüber einem Kinderwagen und so wurde Mio fast ausschließlich getragen als er geboren war.
Ich stillte ihn nach Bedarf und nicht nach Uhrzeit, ging ausschließlich an reizarme Plätze mit ihm und begleitete ihn in all seinen Gefühlen die da kamen. Wir schliefen/schlafen gemeinsam im Familienbett. Auch achteten wir weiterhin auf biologisches Essen, bestellten die Biolieferkiste und wuschen unser Baby nur mit hochwertigen ökologisch vertretbaren Produkten. Ich mied die Innenstadt für mehr als ein halbes Jahr und achtete darauf, zwischen den Besuchen immer einige Tage Pause zu haben. Ungebetene Gäste konnte ich nicht ertragen und zog nach einiger Zeit eine klare Grenze, auch wenn ich wusste/weiß, dass dies auf einiges an Unverständnis stieß.
Mit den anderen beiden Kindern handhabte ich es ebenso und einmal sagte eine Nachbarin zu mir Endlich sehe ich das Kind mal, es ist ja nur bei dir in der Trage.
Ich fühle mich super wohl mit dieser Art Babies zu begleiten. Es fühlt sich richtig an.
Der Zeitpunkt um die drei Jahre rückte näher und langsam wurden Stimmen laut, dass Mio nun schon mal in den Kindergarten sollte. Dass wir ihn vorher abgeben würden, kam mir niemals in den Sinn und das alleine war schon wieder fast ein Alleinstellungsmerkmal. Wir zögerten die Kigaanmeldung bis knapp vor dem vierten Geburtstag hinaus und bekamen dann einen Platz im Waldorfkindergarten, der uns sehr gut gefiel. Als der Vertrag vor uns lag wurde sofort klar, dass dies noch nicht der richtige Zeitpunkt war um ihn anzumelden. Er war so froh und glücklich zuhause und meldete absolut keinen Bedarf an. Wir entschlossen uns abzuwarten bis Initiative vom Kind selber kam. Mit fünf Jahren wollte er gehen und wir bekamen sofort einen Platz im Waldkindergarten. Warum das ganze nur fünf Wochen lang ging, erfährst du hier.
Wir ließen uns leiten und das Leben fließen. Und uns ging es allen gut damit, ganz gleich, was Andere dachten und wollten. Ich organisierte eine kleine Gruppe, die sich regelmäßig traf und im Laufe der Jahre fiel mir ein Buch in die Hand mit dem Titel Denn mein Leben ist Lernen. Im ersten Moment dachte ich, mich verguckt zu haben, ging es darin doch tatsächlich um Kinder, die nicht in die Schule gegangen waren. Was sind das denn für Spinner? Es handelte vom intrinsischen Lernen und beschäftigte sich mit der Frage, wie wir Menschen Informationen aufnehmen, in welcher Umgebung sich Sozialisation ausbildet und warum Kinder vom Leben lernen. Ich war fasziniert und das Buch ließ mich nicht mehr los. Meine Begeisterung war so groß, dass ich nicht mehr aufhören wollte, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Auch Peter war begeistert und wir überlegten im Laufe der Zeit eine Möglichkeit, wie es uns gelingen könnte, unsere Kinder unbeschult aufwachsen zu lassen und welche Umgebung wir dafür als optimal empfinden würden.
Und hier stehen wir nun: Mit drei freilernenden Kindern, Bioessen im Kühlschrank, dem Wunsch mit unseren Kindern zu wachsen und sie in ihrer Entfaltung nicht zu behindern und in Kontakt zu anderen Familien, die ebenso komisch sind wie wir.
Die Stoffwindeln allerdings haben wir durch stinknormale Wegwerfwindeln ersetzt, denn das ganze Gewasche ohne Maschine würde doch den Rahmen des mir Möglichen sprengen….